Gedanken rund um die Radreise

Radfahren ist für uns die ideale Art des Reisens, wie es auch unser Freund Jim (Homepage!) beschreibt: Man hat das optimale Tempo, nahezu immer stehen bleiben zu können, was anzuschauen oder auf der Karte nachzusehen - oder bloß zum Austreten.

Gerade wegen des geringen Tempos und des oftmaligen Stehenbleibens kamen wir viel häufiger als bei einer Autoreise mit Einheimischen oder anderen Reisenden ins Gespräch.

Eigentlich bin ich kein Radfahrer. Ich erinnere mich gut an zwei Begebenheiten, die mir das vor Augen halten: Ein lieber Kollege nahm mich mit zum Radeln nach Feldbach. Seine Überraschung war groß, als er im Radlerdress und mit bestem Rennrad ausgestattet meine Ausrüstung sah. Und klar hatte er sich getäuscht, wenn er gemeint hatte, meine allgemein gute Grundkondition  ließe mich locker mit ihm mithalten.

Und einmal meinte einer meiner Brüder nach einer gemeinsamen Radrunde: Das nächste Mal fahren wir aber richtig.

Unterwegs im Zentralmassiv bei Aubrac  vor der Abfahrt ins Lot-Tal
Unterwegs im Zentralmassiv bei Aubrac vor der Abfahrt ins Lot-Tal

Drei Mal fuhren uns hilfsbereite Menschen ein größeres Stück voraus, um uns aus Städten heraus oder auf den richtigen Weg zu leiten. Einmal tat das ein Autofahrer, was recht abenteuerlich war, weil er Straßenstücke fuhr, die für ihn verboten waren...

 

Besonders angenehm und schön war der täglich ähnliche Rhythmus, das fast immer gleiche Aufstehen etwa um fünf Uhr, die selbstverständlichen Handgriffe, der gleiche Tagesablauf - Gerti räumte im Zelt zusammen, während ich das Frühstück richtete, nachher während ihrer Morgentoilette packte ich das Zelt. Wir holten uns meist in der nächsten offenen Bäckerei frisches Brot und Gebäck, jausneten am späten Vormittag ausgiebig und am frühen Nachmittag gab es den täglichen Kaffee mit Gebäck, am liebsten Pain aux Raisins, und unser Schachspiel. Bei diesem waren zum Schluss schon drei Figuren durch kleine Steinchen ersetzt.

 

Die längste Zeit bis etwa Le Puy-en-Velay, immerhin 1500km, wagten wir kaum jemandem zu sagen: "Wir fahren nach Santiago". Die Längen unserer bisherigen Radtouren waren kaum über 1000km und wir wussten zu genau, dass trotz aller Planungen sehr viele Zwischenfälle auftreten könnten, die uns auch zur Aufgabe hätten zwingen können.

In einem waren wir uns sicher: Wir haben genug Zeit. Und dieser Zeitpolster von ungefähr einem Monat beruhigte sehr.

 

Obwohl ich sie schon so lange kenne, nämlich über 40 Jahre, ist doch Gerti die größte Überraschung: Als vor der Abfahrt Schlechtwetter prognostiziert war, meinte Martha noch: "Ihr müsst euch halt gegenseitig motivieren". Das war jedoch niemals nötig: Im Gegenteil, Gerti war ja kaum zu bremsen. Mit nur zwei Rasttagen strampelte sie unaufhörlich mit ihren 62 Jahren bis Santiago und keine Widrigkeit konnte ihr etwas anhaben. Sie strahlte, das ist wohl ihr Markenzeichen, in noch so unwirtlichen Situationen - und nicht nur für Fotos.

Es ist ja beispielsweise doch nicht gerade selbstverständlich, dass man nach über 130km und etlichen Anstiegen mit mehr als 1400Hm am Ende eines Tages keinen Campingplatz findet, ja nicht einmal ein gscheites verstecktes Platzerl, und dass man dann mehr oder weniger am Straßenrand zum Kochen und Schlafen bleibt.

 

Gerti im Originalton in Santiago: "Ich bin so froh, dass wir noch weiter fahren können und nicht mit dem Flugzeug zurückkehren müssen. Ich freu mich auf die folgende Reise."

Gertis Gleichmut und ihre Begeisterung sind ja ansteckend....

 

Kurz gabs auch zu viel der Begeisterung: Wir kamen zum Streiten, als Gerti in Frankreich auf der Hinreise alle paar Meter stehen blieb, um Blumen zu fotografieren. Einmal sagte sie erfreut, als ich zum Pinkeln halten musste: "Dann radle ich zurück, ich hab da eine Orchidee gesehen..."

Wir blieben öfter einmal stehen, wenn wir voll bepackten Radlern begegneten und quatschten miteinander über das Woher und das Wohin. Die häufigste Frage von Deutschen war: "Wie viele Kilometer fahrt ihr im Tag?".

 

Zwei Radler waren von besonders weit her nach Frankreich gekommen: Einer war aus Neuseeland nach Holland geflogen, hatte sich dort ein Fahrrad gekauft und war dann durch halb Europa getingelt.

Der andere war von Japan aufgebrochen. Er war bereits seit mehr als 2 Jahren unterwegs, hatte einige Länder in Fernost mit dem Fahrrad bereist, war in Afrika...

Und heuer war er bereits von dort kommend in Istanbul gestartet und quer über den Balkan, Österreich, die Schweiz nach Frankreich gereist.

Einmal war bei seinem Liegerad etwas gebrochen und er musste für ein Ersatzteil zurück nach Japan fliegen. 

Und ein Paar war in Griechenland gestartet und auf der Heimreise in Frankreich.

 

Ein sehr flotter deutscher Radler holte uns ein und fuhr zu meinem Schrecken trotz Autoverkehrs einige Zeit neben mir mit den üblichen Fragen und Gegenfragen. Er hatte wenig Gepäck und meinte, Campingplätze kämen für ihn nicht in Frage, er wolle doch täglich duschen (was wir übrigens doch auch meist wollten und machten...). Plötzlich piepste irgendein Gerät an seinem Fahrrad und er bog abrupt nach links ab, nicht ohne uns noch zuzurufen: "Mein Navi sagt, es geht links..."

Nach unserer Kaffeepause zwei Stunden später kam er wieder von hinten...


Regenfrühstück in der Schweiz
Regenfrühstück in der Schweiz

 Ein anderer Deutscher mit wahnsinnig viel Gepäck und Riesenbauch saß an einem Rastplatz. Wir kamen ins Gespräch und erfuhren, dass er einen 2m langen Stock zur Abwehr von Hunden mitführte. Er schlief meistens wild.

 Wir hatten mit Hunden entgegen vieler Berichte in diversen Foren keine Probleme.

 

In Spanien ist der Wein oft billiger als Fruchtsäfte, auch im Supermarkt. So waren wir oft gezwungen... :)

Andere Erfahrung: Es gibt viele "ferreterias" in Spanien, Eisenwarengeschäfte, die weit mehr als Eisenwaren führen: Werkzeuge, Ersatzteile, Plastikwaren. Zu diesen wurden wir stets geschickt, wenn wir Gaskartuschen kaufen wollten. Doch "unsere", sehr verbreitete Camping-Gaz-Ventilkartuschen, gab es dort nie. Man zeigte uns alle Arten von Kartuschen, "bombas", auch von der genannten Firma, man schickte uns weiter -  doch nur zwei Stellen fanden wir, wo wir die Kartuschen bekamen: Eine bestimmte große Sportartikelkette und einige wenige größere Tankstellen.

In Frankreich bekommt man die Gaskartuschen in jedem Supermarkt. 

 

Sehr glücklich waren wir über die Entscheidung, ein großes 3-Personen-Zelt statt des 1,5kg-Radlerzelts mitzunehmen.

Auf dieser großen Reise war es einfach besonders im Hinblick auf's Wetter viel bequemer.

 

Wir sahen sehr viele Fußpilger auf dem Jakobsweg, meist rudelweise.  Sie beeindruckten mich, müssen sie doch in noch anderen zeitlichen Dimensionen denken. Und viele waren eine große Strecke unterwegs, wenigstens von St. Jean. Den Rummel und das Gedränge in so mancher Pilgerherberge möchte ich jedoch nicht mitmachen...

Manchmal hatten Pilger mit Mountainbikes auch den Ehrgeiz, genau auf dem Fußweg zu fahren, obwohl die wenig befahrene Straße nur wenige Meter daneben verlief.

Portal der Kirche von Condom (Ja, dieser Ortsname hat schon meinen Vater sehr beeindruckt :))
Portal der Kirche von Condom (Ja, dieser Ortsname hat schon meinen Vater sehr beeindruckt :))

Das Radeln wurde uns nie zu viel. War das Wetter zu mies oder hatten wir aus anderen Gründen weniger Auftrieb, fuhren wir halt weniger, gönnten uns ein Gasthaus-Essen oder machten einen Rasttag. Wohl aber wurden die vielfältigen Eindrücke allmählich erdrückend. Und auch aus diesem Grund reichte uns unser "Kulturprogramm" völlig.

Gerti relaxt in Portomarin, dem letzten Schlafplatz vor Santiago
Gerti relaxt in Portomarin, dem letzten Schlafplatz vor Santiago

Kontakt mit meiner Mutter gab es wöchentlich per Mobiltelefon, zu den Kindern auch per SMS. So war ich zunächst über ein SMS von Reini doch sehr verwundert: "Hallo Papa, nur falls ihr wo Nachrichten hört. Uns gehts gut und allen Verwandten, so weit wir wissen auch." Erst das anschließende nächtliche Telefonat informierte uns über die katastrophale Amokfahrt eines Irren in unserer Heimatstadt.

 

Nudeln oder Reis: Das war die Grundsatzfrage. War die entschieden, gab es entweder 2 Tage hintereinander Reis oder 2 Tage Nudeln, schließlich wollten wir nicht Nahrungsmittel spazieren führen. Bloß die Beilagen wechselten häufig. So gab es Hühnerfilet, Champignons, Gemüse, Eier, Würstel, oft Knoblauch mit Olivenöl und einmal sogar frischen Fisch. Dieser 1/2 kg kleiner Sardellen war sogar im Supermarkt ausgenommen worden!

 

Dass wir mehr als sonst aßen, fiel uns schon auf...

Keine große neue Erkenntnis aber doch wieder bestätigt: Es ist erstaunlich, mit wie wenig Dingen zum Anziehen man auskommt. Zwei Radlerhosen, zwei bis drei Leibchen, zwei Paar Socken, eine lange Hose, eine Unterhose, ein langärmliger Pulli und das Radler-Regenzeug reichten.

Die Hosen und Leibchen konnten wir ja gut regelmäßig waschen. Am unangenehmsten wurden allmählich die Schlafsäcke, die man doch nicht gut unterwegs waschen kann, weil sie zu lange zum Trocknen brauchen.

 

Aber auch die Bedürfnisse oder das, was wir im Alltag oft für ganz wichtig halten, werden weniger: Ein lieber Mensch zum Angreifen nahe, irgendwas zum Essen, und sei es kalt, ein wenigstens beim Zeltaufstellen trockenes Platzerl, eine Flasche voll Trinkwasser, eine Zahnbürste...

Stadteinfahrt - Santiago de Compostela
Stadteinfahrt - Santiago de Compostela

Wir lachten oft über unsere Unterschiedlichkeiten. Gerti sagt: "Da ist ein Wegweiser." Ich seh ihn einfach nicht, weil zu viele Schilder an der einen Stange montiert sind. Ein anderes Mal rausche ich über eine Kreuzung drüber, hab längst die Wegweiser von weitem gesehen. Gerti ruft hinterher: "Weißt du überhaupt, wo es weiter geht? Ich hab nichts gesehen." 

So waren wir erheitert über mich "Jäger" und sie "Sammlerin".

Es kann aber auch daneben gehen. Gerti sagt etliche Kilometer nach der letzten Abzweigung voll Überzeugung: "Wir sind falsch. Wir hätten rechts fahren sollen." Ich meine ebenso überzeugt: "Wir sind richtig. Ich hab das Schild gesehen." Nach einigen weiteren Kilometern muss ich eingestehen, dass ich mich geirrt habe. Wir fahren den Umweg weiter - und sind letztlich froh, ein besonders schönes Stück Landschaft zu erleben.

(von Georg)   


Pannen?

Georg lernt das Ketten-Nieten, damit der Nieter nicht umsonst mitgeführt wird.
Georg lernt das Ketten-Nieten, damit der Nieter nicht umsonst mitgeführt wird.

 Oft wurden wir gefragt, wie viele "Patschen" (=Platten.... für unsere deutschen Freunde) wir hatten, was alles kaputt geworden ist:

Gleich am dritten Tag brach die Kette bei Gertis Rad. Mit der reparierten, also um 2 Glieder verkürzten Kette fuhr sie über 7000km weiter und zurück bis Graz. Ansonsten gab es einen Schleichpatschen schon in Deutschland zu flicken, ein gerissenes Gangseil nahe Grein an der Donau und das wars!

 

Halt, nicht zu vergessen: Gertis Helm! Diesen musste sie schweren Herzens in Freiburg - alt und mehrfach gebrochen - wegwerfen :)) 

Das Tauschen von Bremsklötzen zähle ich zu Servicearbeiten. 

So ersetzte ich sicherheitshalber auch bei jedem Rad jeweils den Hinterreifen...  

Sonstiges, nicht an den Fahrrädern
Die Therm-a-Rest - Matte von Gerti ging "innerlich" auf, hatte dann eine Riesenblase.
Sie wurde später von zu Hause aus anstandslos durch die Firma ersetzt.
Und ein Gestängeteil am VAUDE-Zelt brach. Ein hilfsbereiter, geschickter Belgier - ja, der, der uns zuvor an der spanischen Atlantikküste mit je einem Bier empfing - mit umfangreichem Werkzeugsortiment im Wohnmobil half, ihn zu reparieren.