Wegen des unbeständigen Wetters verschieben wir die Abfahrt zu unserer heurigen Radreise immer wieder. Das Wetter und die Bedingungen sind dann auch lange dominierend für die Unternehmung. Wir starten von zu Hause, nach Norden geht es über den Seeberg und den Zeller Rain an die Donau, die wir bis etwa Deggendorf entlang fahren. Dann strampeln wir weiter über Plauen, Leipzig und Wittenberg nach Berlin. Hier schwenken wir nach Westen und gelangen über Hamburg nach Amsterdam. Nach Süden zu folgen wir jetzt lange dem Rhein, bevor wir ins Saarland abzweigen. Dann radeln wir wieder den Rhein entlang bis zum Bodensee, um letztlich durchs Allgäu ins Inntal zu gelangen. Von da zum Ennstal und nach Hause ist es nicht mehr weit ...
Alles ist einmal zum ersten Mal: Im letzten Moment packe ich doch noch einen PULLOVER ein, einen richtigen Pullover! Und das war ein Goldgriff! Ich ziehe ihn gleich am ersten Tag in Peggau an, als sich das Wetter doch nicht an die Prognose hält und es vorzieht, zu regnen. Regen und richtige Kälte begleiten uns 12 Tage lang, in den darauf folgenden 24 Tagen mit Sonne und zunehmender Wärme ist das kalte Wetter aber auch ganz schnell wieder vergessen.
In Turnau freuen wir uns über Tisch und Sessel im überdachten Schuppen als Schutz vor dem Regen. Den Seeberg und den Zeller Rain "derpacken" wir leidlich gut, nicht immer angenehm bei der Nässe. Und auch in der zweiten Nacht sind wir froh, am Ybbstalradweg in einem "Wetterhäuschen" übernachten zu können. Am dritten Tag, eh ein Sonntag, haben wir nach dem Zeltaufstellen nahe Schlögen einfach keine Lust, im strömenden Regen zu kochen und nehmen das Restaurant, wo das Spargel-Cordon-Bleu köstlich mundet. Frischen Spargel wird es noch öfter auf dieser Reise geben, er ist gerade mit Couscous so einfach und schnell zubereitet.
Zurück in Schlögen: Aufstehen, Zusammenpacken im Regen - es kann nur besser werden: Der Empfang auf dem Bio-Bauernhof-Camping nahe Deggendorf ist herzlich, der Regen abgeklungen. Strom, Kochgelegenheit, Sitzmöbel... Und ich glaub, ich höre nicht recht: "9 € für beide bitte. Das Bier ist im Kühlschrank, gebt 1 € einfach in die Kassa!"
Der ganze folgende Osten Deutschlands ist eine große Oststeiermark: Hügel rauf, Hügel runter. Wir lernen wunderbare Gegenden kennen, der Raps blüht. Am Christi-Himmelfahrtstag wird hier der Männer- oder Vatertag gefeiert. Viele Gruppen hauptsächlich junger Männer ziehen mit Bollerwägelchen voll mit Bierkisten und dröhnenden Musikboxen über die (Rad)-Wege und haben ihren Spaß.
Auch lernen wir die verschiedensten Systeme, aus Campingplätzen raus zu kommen, kennen. Einmal bekommen wir einen Schlüssel, den wir ins Postkastel werfen sollen, ein andermal einen Chip, für den eigentlich Einsatz zu zahlen ist. Eigentlich. Wieder ein anderes Mal gibt es ein Türchen, nur für Fußgänger und Rafahrerinnen.
Die meisten Plätze sind sehr radlerfreundlich, auch wenn für andere kein Platz mehr ist, auf der Zeltwiese geht es fast immer. Oft gibt es Tische, Sessel, meist Strom zum Handyladen und mehrmals gar Kochgelegenheiten und Aufenthaltsräume.
So richtig Städtereisende werden wir aber wohl nicht mehr. In jeder Stadt gibt es ein bedeutendes Rathaus. Eine berühmte Persönlichkeit hat natürlich auch gelebt und die Kirche ist mindestens ein Wahrzeichen.
Einen halben Tag oder eventuell einen ganzen wie in den drei großen Städten halten wir gut durch, aber dann sind wir froh, wieder aufs Land zu kommen.
Wobei: Es war immerhin Berlin, wo ich am Campingplatz durch ein schleifendes Geräusch aufwachte und einige Mühe hatte, den Fuchs daran zu hindern, unsere geschlossene Packtasche mit dem Essen fortzuschleppen.
Was uns dann spätestens ab Berlin - außer unseren Lieben, die daheim sind - zunehmend abgeht, sind gscheite Berge. Nix da. Wir lachen fast, als wir in Stölln den Absturzort von Otto Lilienthal, dem Flugpionier sehen. Die einzige Erhebung nahe Berlin, die bei uns nicht einmal als Hügel durchgeht. Dort fasziniert mich auch die "Lady Agnes", ein auf dem Segelflugplatz "zu Ehren Lilienthals" gelandetes Düsenflugzeug. Die Länge der Landebahn ist nur 860m, statt der üblichen 2500m. Der Untergrund unbefestigt statt wie sonst Beton. Die Schubumkehr wurde schon in 50m Höhe aktiviert, bei Normallandungen undenkbar. Und dort steht sie nun als Denkmal.
Unsere Reise geht die Elbe entlang weiter. Wir können uns knapp vor Hamburg den Luxus eines Wartetages leisten und lernen erstaunt: Bis hierher, mehr als 100km vor der Mündung gibt es Gezeiten im Fluss mit immerhin bis zu 3,5m Tidenhub.
Von unserem "Wartecamping" radeln wir so zeitgerecht in die Stadt Hamburg, dass wir Agnes, Matthias, Sara und Simon am Bahnsteig begrüßen können. Mit großer Wiedersehensfreude frühstücken wir in einer nahen Bäckerei. Dann schlendern wir vorbei am Rathaus zum Hotel, wo wir die Fahrräder stehen lassen. Weiter geht es zur Elbphilharmonie, einem wirklich beeindruckenden Bauwerk, durch den Elbtunnel und auf den Michel. Von oben sieht man halt doch mehr.
Nach einem gemeinsamen Essen fahren wir nur noch nach Blankenese an den Elbestrand.
Um die Elbe zu überqueren, müssen wir ein gutes Stück zurück, doch auch zeitig in der Früh kommen wir über den Fluss und am gigantischen Airbuswerk vorbei. Einen Tag später, es ist der Pfingstmontag, radeln wir in Holland ein. Kanäle, Kanäle, Ebene - das ist Holland. Viele freundliche Leute, sehr viele Radfahrer - aber die Radwege ohne Infrastruktur: Keine Bankerl, kein Wasser.
Im passenden Camping in Amsterdam geht es dafür umso radlerfreundlicher zu. Wir finden Kochplatten und Sitzgelegenheiten vor und wie auf so mancher Biwakschachtel etliche brauchbare Lebensmittel, vom Salz über Nudeln, vom Öl bis zu Nutella.
Einen vollen Tag, zwei Nächte bleiben wir. Mit Besichtigungsprogramm, Grachtenfahrt in Amsterdam inklusive, verbringen wir die Zeit.
Südwärts reisen wir weiter übers sehenswerte Arnheim bis zu einem Rheinarm. Am Morgen ein böses Erwachen: Gegen 6 Uhr sagt die freundliche Stimme des Navi: "Rechts abbiegen zur Fähre..." Das Problem: Es ist nur ein Fußweg - was uns nicht stören würde - aber kein Hinweis auf ein Schiff. Laut Internet könnte es sein, dass um 10 eine Überfuhr geht. Also zurück bis Arnheim, wo es eine Brücke gibt. Hätte der Georg genauer geplant, hätten wir uns diese rund 30km ersparen können. Schon zum Frühstück in der Bäckerei sind wir in Deutschland. Holland, ade! Was uns hier noch aufgefallen ist: Niemand von den Radfahrerinnen trägt einen Helm, kein Kind im manchmal abenteuerlichen Kindersitz, vielleicht der eine oder andere Rennradfahrer.
Mit einem Schlenkerer ins Saarland, wo wir in Saarbrücken Georgs knapp 90jährigen Onkel besuchen, treten wir hauptsächlich den Rhein entlang. Onkel Gotthold, der ob seiner progressiven Ansichten bei der Kirche ja in Ungnade gefallen ist, empfängt uns mit selbstgebackenem Marillenkuchen nach seiner Mutter Art. Er freut sich wie auch wir, dass wir einander nach sehr langer Zeit wieder einmal sehen und führt uns mit einigem Stolz durch seine große Wohnung, die wie ein Museum mit Erinnerungen an seine vielen Reisen anmutet. 142 Länder der Erde hat er bereist und so Manches mitgebracht, was heute wohl nicht mehr möglich wäre. Die Wände verkleidet mit Büchern und der volle Schreibtisch verraten, dass er noch nicht müde ist, zu arbeiten.
Einen Gottesdienst im Kölner Dom verlassen wir wegen des Pomps und der Schwulstigkeit bald - allein den Einzug bestreiten über 60 Leute, hauptsächlich Buben und Männer, jenen evangelischen in Basel verfolgen wir bis zum Schluss. Hier sticht die eindringliche, klare Predigt einer Pfarrerin hervor, zum Auszug wird auf der Orgel "Toccata und Fuge" von Bach gespielt, "unser" Stück gespielt von einer Freundin bei unserer eigenen Hochzeit vor bald 50 Jahren! Berührend.
Heuer leisten wir uns in Schaffhausen auch eine Bootsfahrt zum von den Wassermassen des Rhein umtosten Felsen, einem freilich von vielen anderen Touristen auch überlaufenen Schaustück.
Im Bodensee schließlich schwimmt Gerti gar zum ersten Mal auf unserer Reise. Der nächste Morgen bringt den Ritt über den Bodensee von Konstanz nach Meersburg und bald schon führt unser Trip hinauf und hinunter im Allgäu. Erstmals kommen wir durch Reutte, den Plansee entlang, und weiter ganz nah an die Zugspitze dürfen nur Radler fahren. Diesmal sind uns die Campings um Garmisch doch zu geschniegelt und teuer und wir nehmen mit der freien Natur vorlieb. Schöne und einsame Strecken leiten uns weiter zum Achensee und ins Inntal, ehe wir über großteils bekannte Routen, nämlich St. Johann, Grießenpass, Salzachtal und Wagrein ins Ennstal und über den Schoberpass nach Hause kommen.
39 unfallfreie, erlebnisreiche und doch stets fast gleiche Tage: So geht Radlreise!
Kommentar schreiben
Tine (Dienstag, 20 Juni 2023 16:17)
Wieder Geschichten bunt und abwechslungsreich. So viel erreicht, ohne Auto! Ich staune!
Georg (Dienstag, 20 Juni 2023 16:19)
Ohne Auto ist klar, aber ohne E-Bike sind wir schon deutlich in der Minderheit...
Hans Rihs (Sonntag, 25 Juni 2023 13:47)
Danke für's Teilen eurer Erlebnisse. Die Erfahrungen im Kölner Dom und in Basel passen ins Bild zum Umgang der "Obrigkeit" mit Onkel Gotthold. Hoffen wir auf Besserung !